Aspekte des Deutschunterrichts an österreichischen BMHS (German)
Veronika Bernard
Aspekte des Deutschunterrichts an österreichischen BMHS
1. »Aspekte« statt »Grenzen«
Für die schriftliche Fassung des in Ljubljana präsentierten Beitrages erscheint es sinnvoll, auf den ursprünglich geplanten (dann aber geänderten) Titel »Aspekte des Deutschunterrichts an österreichischen BMHS« zurückzugreifen. Dies deshalb, weil der im Tagungs-Programm angegebene Titel »Grenzen des Deutschunterrichts an österreichischen BMHS« eine erwünschte oder durch den Schultyp bedingte notwendige Einschränkung des Unterrichtsgegenstandes bzw. seiner Ziele implizieren mag; man folgert, dass es offensichtlich Bereiche des Faches Deutsch gibt, die man an einer BMHS, sei es nun eine HBLA, eine HAK/ HAS oder etwa eine HTL, nicht im Unterricht berücksichtigen kann (oder sollte), weil sie den Ansprüchen des Schultyps nicht genügen.
»Aspekte« dagegen stellt die zweifelsohne gegebenen Besonderheiten des Schultyps in den Vordergrund, ohne gleichzeitig eine Beschränkung zu suggerieren. Man kann eine Bestandsaufnahme dessen erwarten, was sich einem Deutschlehrer an österreichischen BMHS einerseits als Voraussetzung und andererseits als schulspezifische Realität seines Unterrichts präsentiert: die Voraussetzung in Form des für den entsprechenden Schultyp verbindlichen Lehrplanes und die schulspezifische Realität in Form der jeweiligen Interpretation des Lehrplanes durch die übergeordnete Dienst-Instanz.
Letztlich bringt die Differenzierung in der Wortwahl so einen grundlegenden Auffassungs-Unterschied über die Aufgaben und Möglichkeiten des Faches Deutsch an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen Österreichs zum Ausdruck.
2. Der Blickwinkel der Zweck-Orientierung
Die Aufgaben des Faches Deutsch an der BMHS nämlich erweisen sich insbesondere in Hinblick auf den berufs-orientierten Ausbildungs-Auftrag des angesprochenen Schultyps (in seinen vielfältigen Spielarten) als wesentlich grundlegender, als man es auf den ersten Gedanken erwarten mag. Der vorliegende Beitrag zielt in diesem Sinne darauf ab, begründend darzulegen, weshalb eine umfassend-humanistische Auffassung, und als Konsequenz: eine ebensolche Anlage des Deutschunterrichtes gerade in einem Schultyp wie den österreichischen BMHS nicht nur seine Berechtigung hat, sondern vielmehr eine Notwendigkeit darstellt.
Zum besseren Verständnis dieser Forderung empfiehlt sich eine (hier nur exemplarisch mögliche) Analyse der (durch die zur Zeit gültigen Lehrpläne festgeschriebenen) Rahmenbedingungen des Deutschunterrichts. Als Beispiele seien die Lehrpläne für die Höheren Bundeslehranstalten für wirtschaftliche Berufe (HBLA bzw. HBLW) und für die Höheren technischen Lehranstalten (HTL) herausgegriffen und in ihren Bildungs- und Lehraufgaben für das Fach Deutsch verglichen - gleichsam als zwei einander gegenüberliegende Pole:
Beide Schultypen existieren in zwei Formen, einer 3-jährigen (HBLA; Lehrplan: Neue Fassung gültig ab 1. September 1993, 6-8) bzw. 4-jährigen (HTL; Lehrplan: 240. Stück - Ausgegeben am 7. November 1986 - Nr. 592, 3929-3931) Variante ohne Matura und einer 5-jährigen Variante mit Matura - und folglich mit uneingeschränktem Hochschulzugang (Lehrplan HTL: BGBL II - Ausgegeben am 14. Oktober 1997 - Nr. 302, 2422-2424; Lehrplan HBLA: Neue Fassung gülig ab 1. September 1993, 7-10).
Die Bildungs- und Lehraufgaben des Faches Deutsch nun unterscheiden sich - betrachtet man sie in Summe und eher oberflächlich - an HTL und HBLA zunächst nur punktuell.
So soll der Schüler einer HTL nach genossener Ausbildung und nach Ablegung der Matura in der Lage sein, 1. die »Standardsprache schriftlich und mündlich [zu] beherrschen« (2422), 2. »Informationsmittel zur Aussprache, Rechtschreibung, Grammatik und zum Ausdruck im Deutschen gewandt hand[zu]haben sowie allgemeine kulturelle und fachspezifische Informationen gezielt [zu] erschließen« (2422), 3. »mündliche und schriftliche Kommunikationssituationen im persönlichen und beruflichen Bereich [zu] entwickeln und [zu] bewältigen, Sachverhalte adressatenadäquat und situationsgerecht [zu] dokumentieren und [zu] präsentieren sowie mit Texten aus der Berufspraxis selbständig und kritisch um[zu]gehen« (2422). An vierter (nachgeordneter) Stelle wird die Erfassung und Bewertung der »Qualitäten literarischer Werke« als Ziel festgeschrieben ebenso wie der »Einblick in Inhalte anderer Kunstformen« (2422), an fünfter (und damit vorletzter) Position die Fähigkeit, am »öffentlichen, insbesondere am kulturellen Leben teil[zu]haben und es in Wort und Schrift mit[zu]gestalten« (2422), und an sechster (und letzter) Stelle schließlich die Forderung, »Medien als Institution und als Wirtschaftsfaktor sowie ihre Bildungs-, Unterhaltungs-, und Informationsmöglichkeiten [zu] verstehen und im [persönlichen] Lebensbereich zu bewußtem, kritischem und mitbestimmendem Umgang mit den Medien fähig [zu] sein« (2423).
Von einem Schüler, der an der HTL die vierjährige Fachschule absolviert hat, fordert man 1. die mündliche und schriftliche Beherrschung der »Verkehrssprache«, während er die »Hochsprache in Wort und Schrift verstehen« (3929) soll. Überdies soll er »Zustände und Vorgänge zweckorientiert, auch unter Verwendung graphischer Hilfsmittel beschreiben und zweckorientiert exzerpieren können« (3929). Unter Punkt 2 wird das Verstehen der Funktion von Massenmedien gefordert und die Fähigkeit, aus dem Medienangebot »zweckorientiert aus[zu]wählen« (3929). Punkt 3 sieht vor, dass der Schüler »Schriftstücke aus der Berufspraxis abfassen« kann, und im Zuge dessen »seine Arbeit ökonomisch [zu] planen und Informationen zielorientiert [zu] beschaffen« (3929) in der Lage sein soll. 4. Soll der Schüler »literarische Werke gern aufnehmen und sich mit ihnen so auseinandersetzen können, daß er Zusammenhänge mit seinem eigenen Lebensbereich erfaßt. Er soll zur sprachlichen und kulturellen Weiterbildung bereit sein, aus kulturellen Angeboten auswählen und am kulturellen Leben teilnehmen« (3929). An fünfter Stelle steht die Forderung, der Schüler solle »Probleme des menschlichen Lebens erkennen, analysieren und zu ihnen Stellung nehmen können«, die »eigene Meinung begründet vertreten« und anderen Standpunkten mit Achtung und Toleranz gegenübertreten« (3929). Überdies soll er 6. zur Gruppenarbeit fähig und bereit sein.
Eine solch deutliche Differenzierung zwischen Fachschule und 5-jähriger Variante ist an der HBLA nicht vorgesehen.
Hier soll ein Absolvent, gleichgültig ob er die Matura oder die Abschlussprüfung der Fachschule abgelegt hat, 1. »am kulturellen und öffentlichen Leben teilhaben und es mitgestalten können« (7 bzw. 6), 2. »die ästhetischen Qualitäten eines literarischen Werkes und dessen Zusammenhang mit soziokulturellen Rahmenbedingungen erfassen können« (7 bzw. 6), 3. »mündliche und schriftliche Kommunikationssituationen im persönlichen und beruflichen Bereich bewältigen können« (7 bzw. 6), 4. sich »insbesondere unmittelbar, klar und unmißverständlich artikulieren und schriftliche Äußerungen erfassen, verarbeiten und folgerichtig wiedergeben können« (7 bzw. 6), 5. zu »sprachlicher Kreativität unter Berücksichtigung der Sprech- und Schreibrichtigkeit gelangen« (7 bzw. 6), 6. »Hilfsmittel für die Aussprache, die Rechtschreibung, die Grammatik und den Ausdruck im Deutschen handhaben können« (7 bzw. 6), 7. Informationen aus allgemeinen, kulturellen und fachspezifischen Nachschlagewerken erschließen können (7 bzw. 6) und 8. »Medien als Institutionen und als Wirtschaftsfaktor sowie die Bildungs-, Unterhaltungs- und Informationsmöglichkeiten der Medien verstehen und in seinem Lebensbereich zu aktivem, bewußtem und kritischem Umgang mit Medien fähig sein« (7 bzw. 6). Der einzige Unterschied zwischen 5- und 3-jähriger Version betrifft Punkt 2, wo von einem Maturanten einer HBLA erwartet wird, in der Lage zu sein, die ästhetischen Qalitäten eines literarischen Textes und seiner sozio-kulturellen Rahmenbedingungen nicht nur zu erfassen, sondern auch zu bewerten (7).
Betrachtet man jedoch in einem tieferen Blick die Gewichtung der einzelnen Ziele und Forderungen innerhalb des jeweiligen Kataloges der Bildungs- und Lehraufgaben, so wird der Unterschied zwischen HTL und HBLA deutlich: Man hat es im Grunde genommen mit einer nahzu hundertprozentigen Umkehr der Prioritäten zu tun. Während (lt. Lehrplan) an der HBLA die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am kulturellen und öffentlichen Leben oberstes Ziel der berufsorientierten Ausbildung ist, stellt man dies an der HTL (bedauerlicherweise) hinten an. Und nicht zufällig begegnet einem parallel dazu im Lehrplan der HTL gleich mehrmals das Wort »zweckorientiert«: Was hier im Lehrplan der HTL niedergeschrieben wurde, stellt die Auffassung des Faches Deutsch als eines »Hilfs-Faches« dar, eines Faches, das sich im wesentlichen doch bitte auf die Bereitstellung von sprachlichem Handwerkszeug konzentrieren möge. Daran ändert auch der Umstand wenig, dass im Lehrplan für die 4-jährige Fachschule der HTL im Rahmen der »Didaktischen Grundsätze« dezidiert und in seltener Deutlichkeit auf die gegenseitige Abhängigkeit zwischen sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten verwiesen wird: »Die Bereitschaft zum Verständnis der Hochsprache wird durch die Erkenntnis erhöht, daß komplexe Denk- und Gefühlsmitteilungen eine differenzierte Sprachleistung erfordern und umgekehrt Denkleistungen in einem direkten Zusammenhang mit der sprachlichen Kompetenz stehen« (3930). Ein Lehrplan wie der der HBLA dokumentiert da einen universellen Ansatz, dem es bei aller Berufsorientierung um die Ausbildung selbständig denkender, kritischer Persönlichkeiten geht.
Die Realität des täglichen Unterrichts allerdings - das weiß jeder, der jemals an einer Schule unterrichtet hat - präsentiert sich keineswegs als direkte Funktion des entsprechenden Lehrplanes. Vielmehr nehmen hier gleich mehrere Parameter Einfluss: die bereits eingangs erwähnte Interpretation des Lehrplanes durch die vorgesetzte Dienstbehörde (Direktor, Landesschulinspektor), aber ebenso sehr die (zuweilen durchaus einseitig zweckorientierten) Auffassungen von Erziehungsberechtigten über die Aufgaben einer berufsbildenden mittleren und höheren Schule, und in weiterer Folge selbst die darauf basierenden (zuweilen ebenso minimalistisch-zweckorientierten) Ansichten der Schüler über Sinn und Zweck des Deutschunterrichtes im Hinblick auf ihre spätere berufliche Tätigkeit. Und dies gilt gleichermaßen für beide der exemplarisch herausgegriffenen Spielarten der BMHS. Dies belegt der Erfahrungsaustausch mit Kollegen.
Womit es ein Deutschlehrer somit an einer österreichischen BMHS ständig, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, zu tun hat, ist die aus den oben genannten Quellen gespeiste Situation eines Begründungs-, um nicht zu sagen: Rechtfertigungs-Zwanges, sofern der Lehrer aus einem humanistischen Weltbild heraus im Deutschunterricht (deutlich wahrnehmbar) über eine Zweckorientierung des Lehrstoffes hinaus gehen möchte und auch - über den Umweg der Auseinandersetzung mit Inhalten wie sie etwa die Literatur in kreativer Umsetzung bietet (gesellschaftliche Problemstellungen etc.) - Hilfe-Stellung im Prozess der Persönlichkeits-Bildung leisten möchte. Denn dies bedeutet eben fast zwangsläufig, Schülern die Möglichkeit zu eröffnen, ihre eigene intellektuelle Kreativität und Eigenständigkeit dadurch zu trainieren, dass man sie mit bereits von anderen gedachten gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Modellen konfrontiert, sie zur Auseinandersetzung damit anleitet und sie im folgenden zu einer abwägenden Einschätzung gelangen lässt.
Was an einer AHS demnach (derzeit zumindest noch) als Selbstverständlichkeit gesehen wird, ist in seiner Umsetzung an der BMHS mitunter einzig mit erheblichem persönlichen Einsatz und Durchsetzungsvermögen zu realisieren.
3. Technik und Wirtschaft als die forcierten Modelle der Zukunft
Dies muss umso bedenklicher stimmen, bezieht man jene gesellschaftliche Entwicklung in seine Überlegungen mit ein, an der wir nach wie vor ungebremst teilhaben: Gemeint ist die (von Politik und Medien) propagierte Überzeugung, Technik und Wirtschaft seien als tragfähige Säulen einer zukünftigen kulturellen Entwicklung imstande, die maßgeblichen Impulse zu einer umfassenden Lebens-Gestaltung zu liefern. Man denke in diesem Zusammenhang etwa nur an die wohl ohne Übertreibung als Euphorie zu bezeichnende derzeitige Propagierung des Internet als Schlüssel zum 21. Jahrhundert.
Nun darf gleichzeitig aber vermutet werden, dass die zukünftig in Technik und Wirtschaft Tätigen an ebenjenen Schulen ausgebildet wurden, an denen unter Umständen aus den oben dargelegten Aspekten heraus eine kritische Persönlichkeitsbildung eher vernachlässigt worden ist. Wie also sollen die aus Technik und Wirtschaft gespeisten Visionen für das neue Jahrtausend aussehen, wenn deren Exponenten zwar Technik- und Wirtschaftsgläubigkeit aber nur wenig an Kritikfähigkeit, an geistig-persönlicher Eigenständigkeit, an kultureller Horizont-Erweiterung und an humanistischen Werten ganz allgemein mitbekommen haben? Woher sollen die Visionen kommen, wenn man nicht im Rahmen der Ausbildung die Vor- und Nachteile, und nicht zuletzt die zum Teil fatalen Auswirkungen, sogenannter visionärer Konzepte der Vergangenheit zu erkennen und abzuwägen gelernt hat? Wer sein gesellschaftlich-politisch-kulturelles Erbe (im Positiven wie im Negativen) nicht präsent hat - oder es gar nur in Ansätzen kennt -, kann seine Gegenwart und Zukunft zwar durchaus gestalten, doch er läuft mehr als andere Gefahr, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Dies sollte eigentlich als Gemeinplatz gelten können.
Überdies sieht sich derjenige aber, der kaum zur Kritikfähigkeit angeleitet werden konnte, in der Nutzung der modernen Informations-Technologien mit den dort angebotenen, zum Teil höchst manipulativen Inhalten hilflos allein gelassen. Das heißt, er wird die Situation subjektiv nicht in dieser Weise wahrnehmen, denn für ihn besitzt alle wie auch immer bereitgestellte Information absoluten Wahrheitsgehalt.
So kann letztlich eine uneingeschränkt kritiklose Propagierung der modernen Informationstechnologien (allen voran des Internet), wie sie eben vielfach von Politik und Medien insbesondere in Hinblick auf eine berufsorientierte Ausbildung (wie sie die BMHS bietet) betrieben wird, bei Vernachlässigung einer Ausbildung zur Kritikfähigkeit und Eigenständigkeit die Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft maßgeblich fördern: die Entstehung einer großen Klasse derer, die unreflektiert das konsumieren und rezipieren, was die kleinere Klasse derer, die bestimmen, was ins Internet kommt und wie es dort präsentiert wird, für sie vorbereitet hat. Es wäre dies in gewisser Weise ein Rückschritt in einen vor-aufklärerischen gesellschaftlichen Zustand - einzig mit veränderten Komponenten: mit dem Internet als Bibel des 21. Jahrhundert und denen, die es speisen und gestalten, als den allmächtigen, zensurierenden Priestern.
4. Die Forderung für einen zukünftigen Deutschunterricht an österreichischen BMHS
Hält man sich angesichts solcher Überlegungen die (leider verbreitete) Erfahrung von Lehrern an der BMHS vor Augen, dass der Prozentsatz jener Jugendlichen von Jahr zu Jahr steigt, die vom Unterricht die Bereitstellung von eins-zu-eins reproduzierbaren Inhalten und ihre Leistungs-Beurteilung nach dem Erfolg jener Eins-zu-Eins-Reproduktion erwarten - und nicht etwa nach dem kritischen Umgang mit vermittelter Information und der Bereitschaft sowie der (erlernten) Fähigkeit, diese auf andere Situationen anzuwenden -, so kann man als Deutschlehrer an einer österreichischen BMHS (und im weiteren als kritisch denkendes Mitglied unserer Gesellschaft) nur folgende auf obiger Bestandsaufnahme aufbauende zentrale Forderung für einen zukünftigen Deutschunterricht erheben: Nämlich in allen Bereichen der BMHS verstärktes Augenmerk auf didaktische Zielsetzungen des Deutschunterrichts zu legen (und legen zu dürfen), die sich auf Kritikfähigkeit, Selbständigkeit und Eigenständigkeit im Denken richten, also auf Persönlichkeitsbildung abseits einer primär zweckorientierten Sprachvermittlung, die im Sinne eines reinen »Funktionierens« in der beruflichen Tätigkeit angelegt ist. Dass eine solche didaktische Zielsetzung untrennbar verbunden sein muss mit der Auseinandersetzung mit Themen, Fragestellungen und Problemen und alle dem, was andere bereits zu diesen Themen, Fragestellungen und Problemen gedacht und geschrieben haben, sollte zur Selbstverständlichkeit eines solchen Unterrichts gehören. Ist doch insbesondere in technischen und wirtschaftlichen Berufen die gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen sehr groß.
Dass die Entwicklung vermutlich jedoch nicht in eine solche Richtung gehen dürfte, deutet die vom zuständigen Bundesministerium forcierte Abschaffung der Verbindlichkeit des Prüfungsfaches Deutsch im Rahmen der Reifeprüfung an der österreichischen HTL an.
Vortrag:
Grenzen des Faches Deutsch an österreichischen BMHS
ÖGG-Tagung: Ljubljana 1.-3. Juni 2000
1. Thema eigentlich: »Aspekte« des Deutschunterrichts an BMHS
Begründung:
»Grenzen« impliziert eine durch den Schultyp bedingte notwendige oder erwünschte Einschränkung des Unterrichtsgegenstandes bzw. seiner Ziele; man folgert, daß es offensichtlich Bereiche des Faches Deutsch gibt, die man an einer BHS, sei es nun eine HBLA, eine HAK oder ewa eine HTL, nicht im Unterricht berücksichigen kann, weil sie den Ansprüchen des Schultyps nicht genügen.
»Aspekte« dagegen stellt die zweifelsohne gegebenen Besonderheiten in den Vordergrund ohne gleichzeitig eine Beschränkung zu suggerieren. Man kann eine Bestandsaufnahme dessen erwarten, was sich einem Deutschlehrer an österreichischen BHS einerseits als Voraussetzung und andererseits als schulspezifische Realität seines Unterrichts präsentiert. Das eine in Form des für den entsprechenden Schultyp verbindlichen Lehrplanes und das andere in Form der jeweiligen Interpretation des Lehrplanes durch die übergeordnete Dienst-Instanz, die nun einmal auch nicht wegzudiskutieren ist.
Diese Unterscheidung in der Wortwahl erscheint mir deshalb so wesentlich, weil sie nicht zuletzt eine grundlegende Auffassung von den Aufgaben und Möglichkeiten des Faches Deutsch an den berufsbildenden Schulen Österreichs zum Ausdruck bringt.
Die Aufgaben des Faches Deutsch an der BHS nämlich erweisen sich insbesondere in Hinblick auf den berufs-orientierten Ausbildungs-Auftrag des angesprochenen Schultyps als wesentlich grundlegender als man auf den ersten Blick erwarten mag.
Bevor ich Ihnen meinen diesbezüglichen Standpunkt skizziere, lassen Sie mich zum besseren Verständnis auf die durch die zur Zeit gültigen Lehrpläne festgeschriebenen Rahmenbedingungen eingehen.
2. Lehrplan HBLA (HL, FS) und HTL (HL, FS)
- Gewichtung auffällig:
+ HBLA:
erste Stelle: Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben;
zweite Stelle: Erfassung und Bewertung der ästhetischen Qualitäten literar. Werke und deren Zusammenhang mit sozio-kulturellen Rahmenbedingungen;
erst dritte Stelle: mündl. und schriftliche Kommunikation im persönlichen und beruflichen Bereich.
+ HBLA: keine wesentliche Unterscheidung der Ziele zwischen Höherer (Matura) und Fachschule (ohne Matura)
+ HTL: wesentlich zweck-orientierter;
erste Stelle: Standardsprache schriftlich und mündlich beherrschen;
zweite Stelle: Informationsmittel gewandt handhaben sowie allgemeine kulturelle und fachspezifische Information gezielt erschließen;
dritte Stelle: schriftliche und mündliche Kommunikationssituationen im persönlichen und beruflichen Bereich entwickeln und bewältigen sowie mit Texten aus der Berufspraxis selbständig und kritisch umgehen können.
+ HTL: zusätzliche Zweckorientierung in Zweig ohne Matura
- Folgerung:
Bereich der BHS durchaus unterschiedlich; wie am Bsp. der HTL sichtbar ist, gibt es Zweige der BHS, in denen Deutschunterricht fast gänzlich auf die Bereitstellung von sprachlichem Handwerkszeug reduziert wird, wenn auch ausdrücklich auf die essentielle Bedeutung der fundierten Sprachbeherrschung für die Fähigkeit zu logischem Denken hingewiesen wird. Glz. zeigt das Bsp. der HBLA aber auch, daß es eine darüber hinaus gehende didaktische Zielsetzung gibt.
3. These zu (künftigen) Aufgaben des Deutschunterrichts an BHS
Auf obiger Bestandsaufnahme aufbauend folgende zentrale Forderung:
- in allen Bereichen der BHS verstärktes Augenmerk auf didaktische Zielsetzungen, die sich auf Kritikfähigkeit, Selbständigkeit richten, also auf Persönlichkeitsbildung abseits einer reinen Zweckorientierung, die im Sinne eines reinen Funktionierens in der beruflichen Tätigkeit angelegt ist. Eine solche didaktische Zielsetzung ist aber untrennbar verbunden mit der Auseinandersetzung mit Themen, Fragestellungen und Problemen und dem, was andere bereits zu diesen Themen, Fragestellungen und Problemen gedacht und geschrieben haben.
Begründung:
- insbesondere in technischen und wirtschaftlichen Berufen gesellschaftliche Verantwortlichkeit des Einzelnen sehr groß.
- Propagierung des Internet als Informations-Quelle kann bei Vernachlässigung einer Erziehung zur Kritikfähigkeit und Eigenständigkeit zur Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führen: zur Klasse derer, die unreflektiert das konsumieren und rezipieren, was die Klasse, derer, die bestimmen, was ins Internet kommt und wie es dort präsentiert wird, für sie vorbereitet hat. Es wäre dies in gewisser Weise ein Rückschritt in einen vor-aufklärerischen gesellschaftlichen Zustand - einzig mit veränderten Komponenten.